Zofingen

Expedition

06:45 Schon stehen einige Herren mit ihren Kisten vor dem Eingangstor. Es ist affenkalt und die Stimmung entsprechend gedrückt. Ich frage mich, wieso ich hier bin und möchte am liebsten wieder heimfahren. Meine Jungmannschaft hatte dumme Ausreden und Pascal musste Geranien versorgen. Ich werfe sie jeweils in den Kompost und kaufe mir im Frühjahr neue.

07:00 Ein graumelierter Herr, der mir seltsam bekannt vorkommt, stapelt seine Geräte neben dem Eingang. Er scheint den Handwagen vergessen zu haben. Immer wieder holt er aus dem geparkten Fahrzeug neue Schrott-Teile und trägt sie stückweise über den halben Platz. Dem Inschenör ist nichts zu schwör. Eine Gruppe guckt in einen Mini-PC und lacht. Mir ist nicht nach Lachen zumute. Morgengrauen dringt durch die Hochnebeldecke. Einige Bäume haben noch ihre gelben Blätter.

07:15, die Schrottkolonne vor dem Tor zieht sich fast über den ganzen Parkplatz und noch immer kommt ein Fahrzeug nach dem anderen daher. Proppenvolle SUV’s, Limousinen mit Anhänger. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das alles seinen Besitzer wechseln soll. Mir wird schlecht, aber ich halte durch.

07:30, pünktlich wird das Tor geöffnet. Die Antennenfreunde überholen links, der Kontrolleur nickt freundlich. Die unterste Plastikkiste gibt den Geist auf. Ich fahre auf den Felgen zu meinem Platz. Dort sind die üblichen Verdächtigen bereits am Einrichten. Ich trödle etwas rum und installiere dann drei Kisten. Eine 20, eine 10 und eine 5 Franken Kiste. Meine morgentrüben Augen wandern durch die Halle. Ein Meer aus Schrott. Leise pfeife ich La Paloma und mache aus der 20er auch eine 10er Kiste.

07:40, wie immer kommen schon die ersten Kunden daher. Vermutlich die Pseudoverkäufer, die sich einen Meter Tisch bestellen um vor der offiziellen Eröffnung das Feld abzugrasen. Ihre Augen scannen die Tische, nichtssagende Pokergesichter. Ein Unansprechbarer wühlt in meinen Sachen.

08:00, ich erspähe Piero Begali und beschliesse, das Fell des Bären zu teilen, bevor er erlegt ist.

08:20, ich kaufe bei Piero eine Expedition. Das Geld reicht knapp. Mein Wechselgeld geht flöten.

08:30, die offiziellen Besucher strömen in den Saal. Die ersten befingern meine Waren. Vor allem den blauen Draht. Beste PVC-isolierte Kupferlitze, 10 Stutz die 100er Rolle. Ich habe davon jahrzehntelang Drahtantennen gebaut. Da sie praktisch unzerstörbar ist, besitze ich noch einen Bedarf für weitere fünf Leben. Aber ich glaube nicht an die Reinkarnation als Funkamateur und will sie loswerden.

09:00, jeder kennt mich. Ich rate Gesichter. Alle scheinen meinen Blog zu lesen. Einer sogar mit Krawatte. Die Vorbesteller kommen vorbei und holen ihr Material ab. Biedermann kommt ohne Brandstifter. Ein sehr netter Kunde. Derweil interessieren sich die Italiener und die Deutschen für meinen Draht. Fünf Franken? Viel zu viel! Geiz ist geil. Über gratis kauft OM nix.

09:30 Markus verkauft hinter meinem Rücken wunderschönes Material zu günstigen Preisen. Leute tragen Dinge vorbei, die sie nie brauchen werden. Jetzt ist die beste Zeit. Wer jetzt nichts verkauft, verkauft nimmer mehr.

10:00 Die lieben Kollegen pilgern vorbei. Die 1991er, die 3748er, Radio Frankreich, Stimmen, Morsezeichen, altbekannte Rufzeichen, neue Gesichter. Zurcher 69 stellt sich vor. Ich suche nach NoGo, doch das ist ein NoShow. Auch nix von Uhux und Co, man will inkognito bleiben. Lieber Sprüche aus dem Off, als sich mit offenem Visier zu zeigen. Na ja, wir wollen heute nicht so streng sein.

10:30 „Wieso hat der 200 Ohm Feeder nicht 300?“, fragt ein OM. Jemand erklärt mir seinen Lebenslauf, ein anderer erläutert mir ein physikalisches Problem, aber erst nachdem ich ihm gesagt habe, aus welchem Kanton ich komme. Einer will mit einem Tausender bezahlen. „Bin I gopfridstutz e Kiosk oder bin i öppä e Bank“, kommt mir in den Sinn. Laufend wird an der blauen Litze gezupft. „Gewöhnlicher Schaltdraht“, sagt einer. „Wird immer länger, wenn man ihn spannt“, ein anderer. „Klugscheisser“, denke ich.

11:00 Ich mache aus der 5er eine Gratiskiste und schichte um. Die Schweizer getrauen sich nicht recht und nehmen nur etwas, wenn ich ihnen den Rücken zudrehe. Deutsche plündern dafür die Kiste. Sind halt spontaner als die knorzigen Alpenindianer. Drehkos laufen diesmal gar nicht. Vermutlich weiss kaum einer mehr, was das ist. Ob ich nicht ein Handy habe? Oder ein Vakuum Relais oder einen Kondensator von 500pF? „Bin I gopfridstutz e Kiosk oder bin i öppa e Bank.“

11:30 Ich ziehe Bilanz. Weniger Besucher. Bei den Radiosammlern herrscht tote Hose. Die sind immer noch auf Beromünster. Wohl ein Langzeit-Echo aus dem All. Die Schrottpreise sind erheblich gesunken. Spezialitäten ausgenommen. Mein Tischnachbar wird wohl nächstes Jahr wiederkommen. Ich auch, aber nur als Besucher. Aber es hat Spass gemacht. Viele nette Gespräche, neue Bekanntschaften und nur wenig sprechfaule Griesgrame. Dafür junge Funkamateure, auch HB3er, clevere Typen. Vielleicht sterben wir doch nicht aus?

12:00 Die Reihen lichten sich. Ich wage einen Abstecher zu Andreas und Martin. Andreas ist übrigens ein HB3er mit dem ich ab und zu ein CW QSO fahre. Soll mir noch einer was gegen HB3er oder DoDo-Amateure sagen. Martin treffe ich manchmal auf 23cm SSB. Beide trinken Wein, ihre charmanten Frauen schmeissen derweil das Geschäft.

12:10 Kehre wieder an meinen Tisch zurück und stelle fest, dass nichts geklaut wurde. Andern ist es nicht so gut ergangen, wie man hört. Ich schwöre mir, nächstes Mal ein Stand-Girl zu engagieren. Vielleicht komme ich doch nochmal als Verkäufer nach Zofingen. Bei mir zuhause muss im Keller ein Riss in der Raum-Zeit entstanden sein, durch den immer neuer Schrott dringt.

12:30 Die Reihen lichten sich weiter. Man geht essen. Ich weiss aus Erfahrung, dass satte Mägen schlechte Käufer sind und fülle die Gratiskiste. Manchmal versuche ich auch etwas zu verschenken, wenn ich Interesse in den Augen entdecke. Das funktioniert nicht immer. Die Menschen genieren sich und geben mir ein Trinkgeld. Nein, ich bin nicht hilfsbedürftig und lebe auch nicht auf der Strasse.

13:00 Die Luft ist draussen. Ich spüre es und räume zusammen. Gut, dass die besten Stücke nicht weggingen. Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, so etwas Wertvolles zu verkaufen? ;-)

13:30 Einer raucht auf dem Parkplatz und erklärt mir die Welt, ein anderer lädt Kisten mit Militärzeug auf seinen Anhänger. Ich fahre los und mein Auto ruft zuhause an. Ich habe Hunger. Ausserdem möchte ich die Expedition von Begali ausprobieren.

18:00 Endlich kann ich an die Taste. Wow, welche Präzision. Schade nur, dass mein Hirn manchmal einen Wackelkontakt hat.

73 de Anton

7 Antworten zu “Zofingen

  1. Man kann nicht einmal sagen, es sei ein Käufermarkt. Schlicht und ergreifend es ist einfach so, man braucht fast nichts von all dem, was angeboten wird. Es ist übrigens auf jedem Weihnachtsmarkt dasselbe, eigentlich bräuchte man es nicht.
    Die Ohnmacht des Schrotthändlers liegt darin, dass er dieselben Dinger Jahr für Jahr anschleppt, aufbaut und wieder abräumt. Ein Überangebot von Schrott erzeugt keine zusätzliche Nachfrage, sondern dient höchstens der Belustigung und als Chilbi Rummel; gut, dass man es wieder mal gesehen hat.
    Besten Dank Anton noch für diesen herausragenden und detaillierten Bericht über die Surplus Party von Zofingen.

  2. spitze newsticker! :)

  3. hallo anton
    herzlichen dank für den besuch an unserem stand, es hat uns alle gefreut.
    herzlichen dank auch an unser kollege fritz he9frw der mit grossem eifer
    uns geholfen hat und uns noch mit einem super nachtessen überrascht hat.

    ps. schraub mal die spez. glühbirne ein sieht ja mega aus wir haben sie am abend bei fritz zum leuchten gebracht.

    gruss Martin , Andreas , Fritz und unsere Frauen

  4. Natürlich habe ich trotzdem eingekauft. So um die 150 Ömer habe auch ich sicher liegenlassen. Werde die Sachen halt an Lager legen, und wenn sie mir verleidet sind, versuche ich diese auf Ricardo wieder loszuwerden. Die Versuchung ist halt latent, 150 x ca. tausend von kaufenden OMs. Die verkaufenden Trödler Individualisten kommen aus ihrer Sicht halt doch irgendwie auf ihre Kosten, auch wenn es nicht wirklich ein ROI ist. Darum geht diese Geschichte auch immer weiter; alle Jahre wieder Zofingen, Spass muss sein.

  5. Manchmal frage ich mich echt, wo ihr soviel negative Energie herbekommt. Andererseits hätte es mich irgendwie doch fast überrascht, wenn ich hier etwas Positives über Zofingen hätte lesen können.

    Man kann Zofingen auch ganz anders erleben. Wie jedes Jahr um 07.15 Treffpunkt mit den Kollegen auf dem Parkplatz; zu (mitgebrachtem) heissem Kaffee und noch ofenfrischen Gipfeli wird gescherzt, viel gelacht
    und werden die “Einkaufslisten” besprochen – jeder hält für den anderen Ausschau nach dem gesuchten. Vor der Türöffnung noch kurzes Aufwärmen in der sehr schönen Berufsschule, kurzes Studium der
    ausgeschriebenen Kurse..man könnte sich ja mal wieder weiterbilden!

    Dann rein ins Getümmel! Erstmal den tollen Roboter fotografieren, der da auf dem Präsentierteller steht. Sieht einfach zu gut aus! Immer wieder begegnet man in den Gängen alten Freunden; manche sieht man einmal
    pro Jahr – in Zofingen. Es sind sehr viele Besucher da, zwischendurch gibt’s kein Vorwärtskommen mehr in den Gängen. Trotzdem werden bald mal die ersten Schnäppchen gemacht. Ich habe den Eindruck, dass
    es zwar auch viel ältere Ware hat, im Grossen und Ganzen das Angebot aber gegenüber den Vorderjahren eher besser geworden ist! Sehr viele Transceiver, auch neueren Herstelldatums, sind zu haben, genauso wie Bastelmaterial
    für die kalten Winterabende. SCHROTT habe ich keinen angetroffen. Zugegebenermassen gibt es immer wieder Leute, die ihre Ware zu Fantasiepreisen anbieten. Ich stelle mir dann jeweils vor, dass der
    Verkäufer das alles eigentlich lieber gar nicht Verkaufen möchte. Mit dieser Methode kann er dann zuhause der XYL immerhin sagen, es hätte niemand etwas gekauft, ohne sie anzulügen…

    Bei den Radiosammlern sind einige schöne Stücke ausgestellt; da ich selber mal solche Geräte gesammelt und repariert habe und viele Kindheitserinnerungen mit den “Holzradios” verknüpft sind, gefällt es
    mir dort..

    Um 10.30 Treffpunkt an der Kaffeebar, man zeigt sich die neuesten Errungenschaften, inklusive Fachsimpeln mit OM’s unbekannten Namens, die zufällig am selben Stehtisch ihren Kaffee trinken.

    Auch bei Anton habe ich kurz reingeschaut; für Ihn hab ich extra ein Hemd angezogen, da er sich zuvor über die schlecht gekleideten Käufer geäussert hat. Ich doch gespannt, wie er so daherkommt.
    Vermutlich hat er mit Regen in der Halle gerechnet. Zumindest hatte er den ganzen Tag seinen Hut auf…auch seine Gratisartikel habe ich mir angeschaut, das “gewinnbringende Kabel” war verlockend,
    aber leider hatte ich dafür gerade keinen Bedarf.

    Um 13.30Uhr ist für mich leider Feierabend, ich muss zuhause noch arbeiten, und der Vierbeiner will auch noch bewegt werden.

    Mein Fazit: viele Besucher, gutes Angebot, viele Freunde wiedergesehen, Schnäppchen an Land gezogen. So soll es sein!

    • Jeder sieht die Welt durch eine andere Brille. Von rosarot bis pechschwarz, das ist eine Frage des Standpunktes. Meiner befand sich hinter dem Tisch ;-)
      Schade, dass du meine Bilanz im Ticker offenbar überlesen hast, denn die war durchaus positiv. Zofingen ist ein toller Event. Nicht so sehr wegen dem Material, sondern wegen den Menschen.
      Apropos Material: Auch die Definition von Schrott ist subjektiv. Genauso wie das Tragen von Baseball Mützen. Sorry, hätte eigentlich wissen müssen, dass sich das in der Schweiz, in Gesellschaft älterer Herren, nicht gehört ;-)
      Nächstes Mal passe ich mich an und trage weisse Socken.
      73 de Anton

  6. Ich kann dir nur zustimmen. Auch wenn ich nichts gekauft und nicht verkauft habe. Allein wieder viele Freunde treffen war es Wert, 7 Stunden auf der SBB zu verbringen – für 3 Stunden Zofingen. 73 Karlheinz HB9DNU aus dem Tessin

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