Tagesarchiv: 16. Mai 2011

Meine Bootsanker

Als Bootsanker (engl. Boatanchor) werden alte Funkempfänger oder Sender bezeichnet, die so schwer sind, dass man sie auch als Anker verwenden könnte. Mein erster Bootsanker war ein Marconi CR100 aus den 40er Jahren. Nächte lang habe ich damit dem Schiffsfunk im 500 kHz Bereich zugehört, wollte ich doch später einmal zur See fahren. Das Gerät war mit einem 100Hz Filter ausgestattet und daher sehr trennscharf. Interessant war auch, dass der Empfänger Langwellen empfing, ab 60 kHz. Doch im oberen Kurzwellenbereich, ab 18 MHz, war er taub wie eine Nuss.

Mein zweiter Bootsanker war ein Collins 51J-4. Ein tolles Gerät mit einer Trommelskala, das den ganzen Kurzwellenbereich in 1MHz Bändern abdeckte. Dieses Gerät findet man übrigens ab und zu in alten Mickey Mouse Heften. Es diente dem Zeichner offensichtlich als Vorlage für ein Funkgerät. Wie alle Collins war es aufgebaut wie ein Panzerschrank, und die Spulen wurden mittels Tauchkernen über eine komplizierte Mechanik abgestimmt. Es ist auch heute noch ein gutes Gerät für den Kurzwellenhörer, allerdings wegen des fehlenden Produktdetektors nur bedingt für SSB.Empfang geeignet. Auch ist der Bandwechsel etwas mühsam.

Später hatte ich dann einen 51S-1 von Collins. Im Prinzip die verbesserte und wesentlich kleinere und leichtere Ausführung des 51J-4. Dieses Teil kann man kaum mehr als Bootsanker bezeichnen. Es ist meines Erachtens der Vorläufer aller modernen Kurzwellenempfänger. Dank des Produktdetektors und seinen mechanischen Filtern ist es auch heute noch brauchbar um auf den Amateurfunkbändern zu hören. Wie bereits der Marconi und der 51-J4 wurde dieses Gerät nicht in erster Linie für den Amateurfunkmarkt entwickelt, sondern als Empfänger für Armee, Schifffahrt und kommerzielle Dienste. Funkamateure konnten sich in der Regel nur ausgemusterte Geräte leisten.

Mein nächster Bootsanker war ein Watkins Johnson WJ-8888. Ein “modernes” Gerät mit PLL und Digitalanzeige. Ich konnte bei einem Armeeverkauf sogar vier Stück dieses Typs ergattern, zu je fünfzig Franken. Die Geräte waren fast neu und arbeiteten perfekt ausser einem. Bei diesem fand ich eine integrierte Schaltung im PLL, die man vergessen hatte zu löten! Trotz des niedrigen Preises waren die Geräte ihr Geld nicht wert. Der PLL rauschte wie ein Wasserfall und die AGC war eine Katastrophe. Aber immerhin fuhr ich mit einem solchen Gerät mein erstes Langwellen QSO. Empfehlen kann ich das Teil nicht. Bereits ein simples Yaesu, wie der FT-817, hat bessere Empfangsleistungen.

Bald rüstete ich deshalb auf und kaufte einen alten Harris RF-590. Ein Gerät, das früher häufig im Schiffsfunk, auch bei der US-Marine, im Einsatz war. Als Langwellenempfänger war er fantastisch, man konnte damit bis 10 KHz runter hören. Auch heute noch ein wunderbares Gerät für einen Kurzwellenhörer, sofern auf dem Stationstisch viel Platz zur Verfügung steht. Wer über das nötige Kleingeld verfügt, kann sich ein ausgemustertes Gerät in Kanada bei Toronto Surplus besorgen. Zum Preis eines neuen KW-Transceivers. Der Empfänger ist, wie übrigens auch der Watkins Johnson, mit hochwertigen mechanischen Filtern für alle Betriebsarten bestückt.

Einen Bootsanker, den ich über viele Jahre besass, hätte ich fast vergessen. Den sogenannten Nato-Würfel. Ein Collins R-392/URR. Und zwar im seltenen Grauton (die meisten sind Feldgrün). Der Würfel wurde Ende der 40er entwickelt und bis in die 60er Jahre hinein in grossen Stückzahlen von verschiedenen Herstellern in Lizenz gebaut. Ein typisches Armeegerät, das in Panzern und auf Jeeps montiert wurde, wasserdicht aufgebaut war und so robust, dass man es mit dem Fallschirm abwerfen konnte. Der Empfänger, der ähnlich dem 51J4 und dem 51S1 den ganzen Kurzwellenbereich in 1MHz Bändern abdeckt, arbeitet mit 25 (!) Röhren und das mit einer Batteriespannung von 24 bis 28 Volt. Diese diente einerseits zur Röhrenheizung und war zugleich auch Anodenspannung. Das Teil ist ein Wunderwerk der Mechanik mit seiner Tauchspulenabstimmung und ist extrem kompakt aufgebaut. Ohne Röhrenzieher (sie befinden sich im Innern des Geräts in einer Halterung) ist an ein Auswechseln der Röhren nicht zu denken. Der R-392 ist der kleine Bruder des berühmten R-390, der leider nie den Weg in meinen Shack gefunden hat.

Bleibt noch die Frage, ob ich heute noch einen Bootsanker zum Kurzwellenhören kaufen würde. Die Antwort ist ein klares Nein. Die Empfänger in den heutigen Amateurfunktransceivern sind so gut, dass das keinen Sinn machen würde. Und was die Langwelle anbelangt, so macht mein Pro3 einen ausgezeichneten Job.

Bootsanker sind aber für Sammler wunderbare Objekte. Vorausgesetzt man verfügt über den notwendigen Platz.

73 de Anton

Bild: Harris RF-590 mit 1kW-Langwellensender